Das alte Ich stirbt

In mir steigt die Hitze auf und am liebsten würde ich im Erdboden verschwinden. Das Loch kann gerade nicht groß genug sein. Ich sehe und fühle keines und so bleibe ich wie angewurzelt sitzen.
Dieser Satz meines Meisters traf mich soeben in Mark und Bein. Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Es war nur ein Satz, der alles in mir ins Wanken brachte. „Du stellst viele Fragen an mich und an mein Team. Wir können dich alle gerne unterstützen, aber den Weg in deine reine Essenz musst du selbst gehen. Den geht keiner für dich.“
Mein Kopf ist wie benebelt und doch gleichzeitig klar. Schon waren Antworten in meinem Kopf, die ich erwidern möchte. „Ich wollte doch helfen, unterstützen und Ideen einbringen!“
Mein Gefühl bremst mich, Antworten zu geben. Nichts davon war jetzt richtig zu antworten. Es bedarf keiner Antwort, weil es keine Worte benötigt. Da sitze ich nun in mir, mit mir, fühle die Hitze in mir und ein Teil schmollt vor sich hin.
 
Stunden später sitze ich im Auto, höre den Dialog und den Stimmen in meinem Kopf zu. „Lass dich nicht entmutigen. Die anderen in deiner Meditationsgruppe gehen ebenso durch ihre Prozesse. Du siehst es täglich in deinem Austausch. Da sind ganz andere Geschichten dabei. Dein Meister hat sich nicht von dir abgewandt, er hat dich angeschoben, er war nur klar zu dir…..“
So geht es hin und her. Es quält mich und die Fragen werden noch mehr, lauter, stärker. Wo ist der Knopf, dass ich sie ausschalten kann?
Ich halte es kaum mehr aus.
Eine drängende Frage kommt nun lautstark und meldet sich „Ja, warum ist es dir so peinlich?“ Funkstille im Kopf. Ich rutsche im Auto hin und her. Mein Gefühl meldet sich und signalisiert mir, ich fühle mich alleine und ausgeschlossen. Peng, das sitzt! Ich fühle mich nicht geliebt. Der Finger ist in meine Urwunde gelegt. Atmen und schon ist der Kopf wieder da. „Die anderen aus deiner Gruppe erzählen von ihren tollen Erfahrungen und wo bist du?“ Das war eindeutig wieder mein Kopf. Mist. Mein Kopf dreht auf und bringt zig Fragen nach oben und mein Gefühl schreit in mir, ich bin alleine, ich fühle mich alleine, nehme mich endlich in den Arm.
Ich halte es nicht mehr aus. Völlig erschöpft und ermattet steige ich aus dem Auto aus. In diesem ganzen Dilemma bin ich unbewusst nach Hause gefahren und gehe nun in die Wohnung. Für einen kurzen Moment herrscht Ruhe in mir und ich bereite das Abendessen vor.
Jetzt sitze ich wieder auf meinem Meditationskissen und gehe in die Stille. „Stille – ha, wo ist sie nur?“ Mein peinliches Gefühl macht sich jetzt erst so richtig breit. Es nimmt mir fast die Atmung. „So ein Mist, wo kann ich bitte hin? Wo kann ich mich festhalten? Ich will da nicht hin. Nein, ich will es verdammt noch mal nicht fühlen! Ich will es wieder wegschieben, dorthin, wo ich es nicht bemerke.“
Die Worte meines Meisters hallen in mir nach, wie ein Echo und es wird alles noch drängender. Eine Stimme in mir ruft. „Gehe da jetzt durch. Lauf nicht weg. Bleib dran, bleib dran. Es ist dein persönliches im Feuer stehen.“ – „Als wenn das Spaß macht, im Feuer zu stehen! Das ist doch alles ein Witz! Was mache ich hier überhaupt?“
Meine Meditation ist zu Ende. Ich steige vom Kissen auf die Beine, ungelenkig latsche ich wie eine Ente ins Bad. Es ist etwas Ruhe in mir, im Kopf, im Gefühl. Jetzt ist mir alles egal. „Wirklich egal?“ Nein, ein Teil von mir trotzt noch immer herum. Ich gebe es auf und gehe ins Bett.
Da liege ich im Bett und atme. Atme ein und aus. Ich atme tief vom Unterbauch in die Brust hoch bis in den Kopf, halte kurz inne und atme wieder aus. Hier liege ich nun, atme ein – atme aus – atme ein – atme aus. Ich ergebe mich meinem Atmen und lasse los.
Ich atme tief ein, hoch in die Brust und atme, atme, atme, atme. „Wo geht der Atem hin? Wo hört meine Brust auf?“ Ich atme noch immer in die Brust. Stärker, tiefer, mein Brustkorb geht bis in die Unendlichkeit. Feine Muster sehe ich in der Schwärze vor mir. Ich atme aus. Ich atme wieder ein. Es geht von vorne los. Mein Kopf fragt „Was ist hier los?“, will retten, was zu retten ist. Ich atme weiter und ergebe mich meiner Atmung und schlafe ein.
 
Der nächste Morgen, ich werde langsam wach. Ich nehme meine Tasse Tee und gehe mit einer Decke auf den Balkon. Hier sitze ich, höre den Vögeln zu. Ich sehe die Eichhörnchen, die von Baum zu Baum springen. Alles ist in perfekter Ordnung. Hier sitze ich und fühle Leere. Leere in mir. Leere. Alles fühlt sich neutral an. Ist es Sinnlosigkeit?
Ich greife zum Bleistift, meinem Buch, schreibe das Datum und die Uhrzeit. „Was macht das alles für einen Sinn? Was soll ich jetzt den Schreiben?“ Ich fühle meinen Meister neben mir sitzen und sehe, wie er mich anlächelt. Aus seiner tiefsten Liebe strahlt er mich an und ist pure Liebe. Da ist keine Ablehnung. Der erste Satz steht auf dem Papier, er schaut mir über die Schulter und die Liebe ist noch da. Keine Erwartung, keine Forderung.
 
Jetzt –  jeeeeeeetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich erkenne tief in mir, dass meine ganzen Fragen Rettungsanker waren. Rettungsanker durch mein Leben. Sie haben mich gerettet, sodass ich groß und stark wurde. Die Rettung davor, die Ablehnung nicht fühlen zu müssen, wenn ich etwas falsch gemacht habe und nicht geliebt werde. Die Fragen kommen alle aus dieser Zeit, wo ich klein war.
Mein Meister sitzt immer noch links lächelnd neben mir und strahlt Liebe aus. Da gibt es keine Ablehnung, nur reine Präsenz. Ich tauche ein in diese Präsenz. Der Bleistift ruht in meiner Hand. Es gibt nichts zu schreiben.
 
Tiefes Erfahren in mir. Mein altes Ich stirbt. „Meine Güte, mein altes Ich stirbt!“ Es gibt nichts mehr, an dem ich mich festhalten kann. Alle Identifikation, alle Anhaftung an den äußeren Dingen ist unwichtig. Es braucht keine Fragen mehr. Der Kopf ist still. Endlich. Nur ich.
Ich gehe den ersten Schritt auf meinem Weg. Mein Meister ist immer noch da und lächelt. Die unendliche Liebe ist immer noch da, sie war nie weg. Ich habe sie nur nicht gefühlt.

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